Ein Roadtrip ist davon geprägt, dass man sich nicht an fixe Strukturen hält, sondern sich treiben lässt. Für einen Mittdreißiger der, nicht zuletzt der Kinder wegen, nur einen streng strukturierten Tagesablauf kennt, ein unübliches aber durchaus spannendes Experiment.
Mit Mitte Zwanzig ist man noch verrückt genug um vom Bodensee aus für einen Tag nach Genua baden zu fahren. Nicht schlimm, in 4 1/2 Stunden ist man eh schon am Meer. Das war im Sommer ´06. Wir sind um 4:00 Uhr am Bodensee weggefahren und hatten um 9:00 Uhr unsere bleichen Füße im Mittelmeer.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wir wollten zum Finalspiel der Weltmeisterschaft ´06 Italien - Frankreich am Dornbirner Marktplatz stehen und den Abend gemütlich ausklingen lassen. Das Ende der Geschichte? Der Audi A3 blieb 500 Meter vor der Ausfahrt Serravalle Scrivia im Piemont mit kochendem Kühler liegen, der Thermostat war im Eimer und der Neue wird für seinen weiten Weg von Mailand nach Serravalle (immerhin 90 Kilometer,...) drei Tage brauchen, was wir aber zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht wissen). Wir sind also in einem italienischen Kaff gestrandet und erlebten hier wie Italien zum vierten Mal Weltmeister wurde. Im Nachhinein war es einer der Schlüsselmomente wenn es um meine Liebe zu Italien geht und dass wir außer den Sachen die wir am Leib getragen hatten keine Kleidung mitführten war halb so schlimm - man ist flexibel. Ein Hotel, ein Bett, eine Dusche, eine Bar mit gekühltem Campari, basta.
Road-Trip 2016, wir sind nicht mehr soooo flexibel wie noch vor 10 Jahren. Soviel ist klar. Wir sind mit einem Wagen unterwegs der nicht 220.000 km auf den Felgen hat und aus dem letzten Loch pfeift. Pfeift? Eher schreit, im Kofferraum stehen zwei elektrische Kühlboxen für Salami, Culatello, Parmesan und Co. Für drei Tage braucht es mittlerweile einen Koffer, einen großen Koffer, das Hotel muss mit mehr aufwarten als "nur" mit einem sauberen Bett, die Zeiten ändern sich. Dennoch sind wir froh, ohne Druck unterwegs sein zu können. Keine Kinder, keine Verpflichtungen - nur das eine muss sich ausgehen: Parmesan und Schinken für das nächste halbe Jahr zu bunkern.
Der eigentliche Zweck unseres Ausfluges ist der Culatello. Culatello? Das ist eine Spezialität. Nein, es ist der Wahnsinn. Fangen wir ganz von vorne an. Der Culatello ist ein ganz besonderer Schinken, die Herstellung erfolgt streng limitiert und ausschließlich in Handarbeit aus dem Fleisch zweier Schweinerassen. Das eine ist die Mora Romagnola und die zweite die Nero di Parma. Es handelt sich um alte Schweinerassen die in der Poebene gehalten und mit Mais, Eicheln und Kastanien gefüttert werden.
Nach zwei Jahren sind die Schweine schlachtreif und der Schinken wird in eine perforierte Schweineblase gepackt. Das ist das eigentliche Geheimnis, denn der verpackte Schinken wird in den Kellern nahe des Po aufgehängt und die extrem feuchte Luft in den Wintermonaten lässt ihn schimmeln, aber so richtig. Der Schimmel wird immer wieder abgewaschen und der Schinken mit Rotwein und Knoblauch eingerieben. Nach zwei Jahren sind die Schätzchen endlich soweit - Sie können in den Verkauf.
Das ganze Prozedere und der Fakt, dass nur 5 Ortschaften am Po das begehrte Siegel führen dürfen, lassen den Preis in astronomische Höhen katapultieren. Das Kilo wird zwischen € 200 und € 250 gehandelt. Es lohnt sich aber ein paar Blättchen von diesem edlen Schinken zu probieren, er ist geschmacklich zart, nussig, unendlich weich und entfaltet am Gaumen Aromen die den Prosciutto crudo fast schon ordinär wirken lassen.
Warum kennt man den Culatello bei uns nicht? Weil die Italiener den lieber selber essen! Wissenschaftlich nicht belegt aber plausibel!
Einem sollte ich an dieser Stelle danken: Alessandro hat uns bei unserem ersten Besuch in Parma diese Spezialität gezeigt, seitdem sind wir fasziniert und immer wieder gerne in Parma. Parma hat so diesen typisch italienischen Flair. Um Mitternacht noch sind die Strassen voll, alle Bars haben ihre Tische auf der Strasse. Die Stimmung ist ausgelassen und sehr entspannt. Das ist das was ich unter Italien verstehen und das angenehmste ist jedesmal: ich höre drei Tage nicht ein einziges Wort Deutsch,...
Kommentar schreiben